Als ich in meinem Unternehmen vor 2 Jahren ein Konzept für ein Gesundheitsmanagement präsentierte, wurde ich gebeten, es in Wellbeing-Konzept umzubenennen. Das sei weniger altbacken und komme intern gleich viel besser an.
Heute hat sich Wellbeing durchgesetzt. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass damit nicht nur der Name modernisiert, sondern auch der Inhalt geändert wurde. Was ist denn Wellbeing eigentlich genau? Braucht es das überhaupt? Oder ist es einfach ein weiterer Modetrend, dem HR hinterherläuft. Verzärteln wir unsere Mitarbeitenden nicht schon mehr als genug? Etwas mitmachen, das sich nicht rechnet, einfach weil’s zum guten Ton gehört?
Um Antworten zu finden, habe ich mir ein paar kürzlich erschienene Artikel zum Thema angeschaut. Gefunden habe ich auch noch ein paar andere Antworten, die ich so gar nicht gesucht hatte.
Was ist Wellbeing?
Schon bei dieser Frage zeigt sich in vielen der untersuchten Artikel ein gut versteckter, aber höchst relevanter Widerspruch. Die meisten Definitionen gefallen mir gut, bspw.
- wie man sich im Leben insgesamt fühlt (Bravo – der Autorenname verweist jeweils auf die ganz unten verlinkten Artikel)
- gute Beziehungen, körperliche Gesundheit und finanzielle Sicherheit (Bravo)
- sich unterstützt, respektiert und zugehörig fühlen (Carter)
- flexible Arbeitsmodelle, gute Führung, sinnvolle Arbeit und inklusive Kultur (Carter)
- umfasst die körperliche, psychische und emotionale Gesundheit (Shaw)
- das psychische und körperliche Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter zu verbessern (Freigang)
- ein vertrauensvolles Klima und Teams, die das Wohlbefinden aller fördern. (Freigang)
- offene Kommunikation, vorhandene und selbstverständliche flexible Arbeitsmodelle, Unterstützung durch Vorgesetzte und Kollegen (MacLellan)
- Vertrauenskultur und Absenz von Furcht und Paranoia (MacLellan)
Hintergedanken?
Trotzdem gibt es in vielen Firmen immer noch die Ansicht, Gesundheitsprogramme richten sich an Mitarbeitende mit dem einzigen Zweck, dass diese die unumgänglichen Belastungen besser aushalten:
- richten sich an Personen, die oft in einem stressigen und wettbewerbsorientierten Umfeld arbeiten (Sharma)
- Yoga, Meditation, Achtsamkeit und Wellness (Freigang)
- den MA helfen, Gesundheit und Wohlbefinden durch nachhaltige Verhaltensänderung zu verbessern (Freigang)
- hin und wieder Seminare zu Stress, psychischer Gesundheit, Fettleibigkeit, Gesundheitschecks. Körperliche Aktivitäten bei Teamevents. Gesundheitsapps und Wearables promoten. Anreize setzen (Sharma)
- Mitarbeitende motivieren, die angebotenen Programme zu nutzen (Shaw)
Selbstverständlich können solche und ähnliche Massnahmen ebenfalls Bestandteil eines ganzheitlichen Gesundheitsmanagements sein. Und es ist natürlich wichtig, dass Mitarbeitende auch selber Verantwortung übernehmen für ihr Wohlbefinden (Shaw). Doch solche Massnahmen können, wie MacLellan richtig anmerkt, allein wenig ausrichten gegen die negativen Effekte einer grundsätzlich vergifteten Arbeitskultur. Ein bisschen Achtsamkeitstraining wird gegen andauernden, übermässigen Stress wenig helfen (Freigang)
Erstes Fazit
Es geht also weniger um Dinge, Benefits, Gadgets. Worum denn? Vielleicht mehr um Gefühle, Spass, Sinn, positive Vibrationen?
Wellbeing ist ein strategisches Unternehmensthema
Sind wir uns also einig? Wellbeing hat nicht nur mit dem einzelnen Mitarbeitenden sondern auch viel mit dem Unternehmen zu tun.
Es gibt zwar ein paar einzelne Firmen, die sich geradezu antizyklisch verhalten. Sie meinen bspw., Wellbeing sei ein Vorwand für Low Performer (Carter). Für viele Firmen ist Wellbeing heute aber sogar ein strategisches Thema geworden.
Was sind die Gründe dafür?
Studien belegen, dass Mitarbeitende heute stärker gestresst sind als je zuvor (Hearn, Freigang). Höchste Produktivität ist aber nur mit körperlich und psychisch gesunden Mitarbeitenden möglich (Sharma).
Auch ist die positive Wirkung von Gesundheitsprogrammen unterdessen breit belegt (Shaw) und sie erhöhen zudem das Arbeitgeberimage (Benenden).
Vielerorts bahnt sich auch diese Einsicht ihren Weg. Anstatt Mitarbeitende zu Yoga und Wellness oder in teure Retreats einzuladen: Könnte es mehr Sinn machen, diejenigen Arbeitsbelastungen anzupacken, die zu Burnout, Ängsten und Krankheiten führen? (MacLellan)
Strategisch relevant, ok. Aber rechnen sich Wellbeing-Programme auch?
Gemäss Bravo haben Organisationen, in denen sich Mitarbeitende wohl fühlen, den Aktienmarkt in den letzten 25 Jahren um 2-3% jährlich geschlagen. Wellbeing gilt als Schlüsselfaktor für Produktivität und Leistung (Benenden, Shaw)
Bravo stellt auch fest, dass Organisationen, die Gesundheit und Wellbeing fördern, im Schnitt 3,5x kreativer und innovativer sind. Grösseres Engagement, bessere Performance, höhere Diversität und weniger Absenzen und Burnouts seien weitere Effekte.
Wellbeing der Kunden?
Komisch finde ich, dass das Wohlbefinden der Kunden nie auch nur mit einem Wort erwähnt wird, weder aus strategischer noch aus finanzieller Sicht. Da Wellbeing für Kunden zu grossen Teilen nur geschaffen wird, wenn die Mitarbeitenden gesund sind und sich wohl fühlen, ist dies für mich ein Hauptargument.
Und nun: wie lässt sich Wellbeing im Unternehmen herstellen, befördern, unterstützen?
Ohne hier auf die Details einzugehen, möchte ich doch die wichtigsten Punkte erwähnen, die auch in den besprochenen Artikeln Erwähnung finden.
Viele Unternehmen implementieren einfach mal die eine oder andere Massnahme. Sie interessieren sich also kaum, was die Mitarbeitenden wirklich brauchen und was ihnen wirklich was bringen würde. Schon gar nicht kommt man auf die Idee, sie zu fragen, was sie möchten (Archer).
Aus all den Ideen muss dann ein umfassendes, nachhaltiges Ganzes werden (Benenden – hier lässt sich auch ein guter Leitfaden dazu downloaden).
Führungskräfte müssen sich für Wellbeing einsetzen
Tönt sowas von einfach, ist aber der meistgenannte Knackpunkt. Wieso eigentlich? Für ein strategisch relevantes Thema müsste der volle Einsatz des Managements eigentlich selbstverständlich sein. Spielt da immer noch das Stigma des Warmduschers mit, wer sich für Gesundheit stark macht?
Vorleben
Auch Top- und Mittelmanagement müssen sich gesunde Verhaltensweisen angewöhnen, um eine gesunde Unternehmenskultur zu fördern (Sharma). Hochinteressant auch die Aussage, dass Self-care zu «Other-care» führt (Bravo). Wer besser auf seine eigene Gesundheit schaut, achtet automatisch auch die Gesundheit aller anderen höher und wirkt erst noch als Vorbild.
Organisationen können Wellbeing nicht verordnen, aber sie können ihren Führungskräften die nötigen Kompetenzen und Tools geben (Bravo). Manager sind hauptausschlaggebend, wie sich jemand an seiner Arbeit fühlt und wie wohl es ihm ist (Benenden).
Wellbeing-Kultur
Wenn in einer Kultur Aktionen belohnt werden, die zu mehr Wohlbefinden führen, entsteht Vertrauen und Zusammenhalt (Bravo).
So sollte die Schaffung einer Wellbeing-Kultur eine gemeinsame Sache sein: Die Arbeitgeber bestärken die Mitarbeitenden dabei, glücklicher und produktiver zu werden (Shaw).
Wellbeing ist also …
… nicht so sehr, was angeboten, sondern was gelebt wird
… nicht so sehr, was du hast, sondern wie du dich fühlst
… nicht so sehr, was du fürs hier arbeiten bekommst, viel mehr, wie du arbeitest
Wenn dir dieser Artikel gefällt, interessiert dich vielleicht auch mein Post «5 Mal Achtsamkeit im Unternehmen».
Kommentare, Anregungen, Hinweise, Entgegnungen sind jederzeit erwünscht. Ziel ist immer auch, Diskussionen zu provozieren.
Besprochene Artikel:
Archer, Jeff: Workplace wellness in 2019: se ven quick hacks to ensure maximum engagement [LINK]
Benenden (Hrsg.): Are you doing enough to support your employees‘ health and wellbeing? [LINK]
Bravo, Rob: Why wellbeing should be promoted in the workplace [LINK]
Carter, Paul: Standing up for the workplace wellbeing profession [LINK]
Freigang, Caroline: «Ist ihr Ziel wirklich, das Leben der Mitarbeiter zu ändern?» [LINK]
Hearn, Stuart: Five trends that will steer performance success in 2019 [LINK]
MacLellan, Lila: There’s only one thing office employees really need for “wellness” [LINK]
Sharma, Kapil: Ways to integrate health and wellbeing in employee lifestyle [LINK]
Shaw, Nick: Why wellbeing in the workplace is a joint effort [LINK]